„Wir lassen uns nicht spalten - unsere Alternative heißt Respekt und Solidarität“

Interview mit Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften ist seit Jahren eine Unterstützerin der Internationalen Wochen gegen Rassismus, die auch dieses Jahr wieder vom 13. bis 26. März bundesweit durchgeführt wurden. Dass die „Bildungsgewerkschaft" sich für eine solidarische, diskriminierungsfreie Gesellschaft einsetzt, ist ein wichtiges Signal. Im Gespräch mit der Gelben Hand spricht unser Fördermitglied, die Vorsitzende Marlis Tepe, über die vielfältigen Herausforderungen im Bildungsbereich – von der Bedeutung rassismuskritischer Bildung bis hin zur Integration geflüchteter Kinder.

Die GEW unterstützt die Internationalen Wochen gegen Rassismus, du bist schon lange Fördermitglied der Gelben Hand und hast jetzt bei der Aktion „Prominente gegen Rassismus" zusammen mit anderen exponierten Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft klar Position bezogen gegen rassistische und rechtspopulistische Tendenzen. Warum ist es wichtig, als Gewerkschafterin immer wieder solche Zeichen zu setzen?

Achtung der Menschenrechte, gleichberechtigte Teilhabe aller in Arbeitswelt und Gesellschaft, das Bekenntnis für Frieden und internationale Solidarität - das sind gewerkschaftlichen Grundprinzipien. Rechtspopulismus und Rassismus gefährden diese Prinzipien. Erfahrungen aus unserer eigenen Geschichte und die gewerkschaftliche Verantwortung für die Zukunft in unserer Gesellschaft verpflichten uns als Gewerkschaft und mich als Vorsitzende dagegen Position zu beziehen. Denn die Gewerkschaften sind wesentliche zivilgesellschaftliche Akteure. Es ist alarmierend, wie stark die Zahl rechtsextremer Gewalt- und Straftaten in den letzten Jahren hier bei uns gestiegen ist. Auch im Alltag haben Diskriminierungen und rassistische Hetze enorm zugenommen. Sie richten sich immer häufiger auch gegen Kinder und Jugendliche, die irgendwie „anders" sind bzw. einer Minderheit angehören. „Hate Speech" ist nicht nur im Internet, sondern mittlerweile auch in Schulen allgegenwärtig und wirkmächtig. Das alles wollen wir auf keinen Fall so hinnehmen. Daher ist es wichtig, entsprechende Initiativen und Bündnisse zu unterstützen, Zivilcourage zu fördern und zu signalisieren: Wir lassen uns nicht spalten - unsere Alternative heißt Respekt und Solidarität.

Die Schule ist ein wichtiger Ort der Sozialisation, der junge Menschen ein Leben lang prägt. Inwiefern ist es notwendig, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht nur Wissen, sondern auch Haltung vermitteln? Brauchen wir mehr rassismuskritische, Demokratie fördernde Bildung in Zeiten des (globalen) Rechtspopulismus?

Eindeutig: ja. In den letzten Jahren ist durch die PISA – Untersuchungen der Blick zu sehr auf die Fächer Deutsch und Mathematik gerichtet worden. Das allein reicht nicht. In unserer internationalen Dachorganisation sprechen wir von der Erziehung zur „Citizenship", zur Übernahme von Verantwortung nicht nur national, sondern auch global. Eine Haltung des gegenseitigen Respekts, die Wertschätzung und der konstruktive Umgang mit Verschiedenheit sind das A und O für pädagogische Arbeit und gute Bildung. Schule ist kein diskriminierungsfreier Raum, dort spiegeln sich gesellschaftliche Problemlagen ebenso wie in Betrieben. Demokratie lernen ist eine Querschnittsaufgabe, die nicht nur in allen Fächern gelehrt, sondern auch im Schulalltag gelebt und erlebt werden muss.

Die Integration von Geflüchteten ist eine große politische und gesellschaftliche Aufgabe. Der Integration geflüchteter Kinder in das Bildungssystem kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Dennoch gibt es noch viele rechtliche, aber auch gesellschaftliche Hürden. Wo müsste man aus gewerkschaftlicher Sicht ansetzen, um diese zu beheben?

Zunächst muss der Zugang zu Bildung für alle Kinder, unabhängig von ihrem Status oder dem ihrer Eltern, ermöglicht werden. Das bedeutet, dass die Schulgesetze von den Länderparlamenten so gestaltet werden müssen, dass alle Kinder schulpflichtig sind und nicht erst nach drei oder sechs Monaten. Um guten, sinnvollen Unterricht für geflüchtete Jugendliche und Heranwachsende zu ermöglichen, muss die Schulpflicht in allen Bundesländern bis zum 21. Lebensjahr verlängert werden. Wir schlagen vor, den Hochschulpakt schnell aufzustocken. Die Hochschulen sollen mit diesen Geldern spezifische Angebote für Studierende mit Fluchterfahrungen machen. Die asylrechtlichen Regelungen ändern sich fortlaufend. Besonders schlimm ist, dass das Recht auf Schulbesuch mittlerweile an die Bleibeperspektive gekoppelt wird. Kinder und Jugendliche aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten" müssen so lange in den Erstaufnahmeeinrichten verweilen bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. Der Bundestag ist gefragt, das Recht auf Zugang zu Bildung für alle zu garantieren.

Was tut die GEW konkret, um den Integrationsprozess in den Schulen und Bildungsstätten zu fördern und zu unterstützen? Wie kann die GEW dazu beitragen, Vielfalt, Solidarität und Akzeptanz zu verankern?

Die GEW – das sind knapp 280.000 im Bildungsbereich Beschäftigte, die sich nicht nur für gute Arbeitsbedingungen, sondern auch für gute Bildung für alle Menschen in einem inklusiven Bildungssystem einsetzen. Wir organisieren Fachtagungen, bieten Fort- und Weiterbildungen an und unterstützen mit Materialien. Die GEW fördert über ihre Stiftung und Publikationen Vorhaben der Migrationsforschung. Einen wichtigen Beitrag leistet das Netzwerk ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘, welches wir als GEW unterstützen und in dem sich Schülerinnen und Schüler, sowie Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam erfolgreich für einen vorurteilsbewusstes und ein demokratisches Miteinander an ihrer Schule einsetzen.

Marlis Tepe, Vorsitzende der GEW