„Vielfalt gehört zu Deutschland wie das Salz in der Suppe“

Interview mit Michael Schmitzer, Ressortleiter Junge IG Metall

Am 18. und 19. Juni, einen Tag vor dem internationalen Flüchtlingsgedenktag der UN, finden in mehreren deutschen Städten Menschenketten gegen Rassismus statt. Die IG Metall Jugend ruft ebenfalls dazu auf, die Initiative „Hand in Hand gegen Rassismus" zu unterstützen. Auch sonst ist die Gewerkschaftsjugend vorne dabei, wenn es darum geht, Flagge gegen Rassismus zu zeigen. Michael Schmitzer im Gespräch mit der Gelben Hand über politische Haltung, universelle Werte und aktives Engagement.

Die rassistischen Gewalttaten gegen Geflüchtete nehmen fast täglich zu, genauso wie die Hetze in sozialen Medien. Ist euer Engagement gerade wichtiger denn je?

Die Geschichte lehrt uns, dass man nicht abwarten und beobachten darf. Das gilt nicht nur für Gewerkschaften, sondern für alle modernen und aufgeklärten Menschen. Brandanschläge auf Unterbringungen und Bilder von einem aufgewühlten Mob dürfen uns nicht im Schock erstarren lassen. Das heißt aber nicht, dass es mit der allgemeinen Klage über einen Rechtsruck in der Gesellschaft getan ist. Wir versuchen in den Betrieben, auf der Straße und natürlich auch in den sozialen Netzwerken mit demokratischen Grundwerten und Solidarität unsere Idee von einer besseren Welt zu transportieren.

Welche Einflussmöglichkeiten und Instrumente habt ihr, um Rassismus im Betrieb wie in der Gesellschaft entgegenzutreten?

Die Befürchtungen, Ängste und Vorurteile unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger nehmen wir sehr ernst. Wenn jemand beispielsweise das Gefühl hat von der Politik nicht ernst genommen zu werden, dürfen wir dieses Gefühl nicht ignorieren. Es ist nicht fair, Kolleginnen und Kollegen deshalb dann pauschal zu stigmatisieren, sondern wir wollen ins Gespräch kommen und Menschen in Kontakt und Beziehung zueinander bringen. Und das geht am Besten im Betrieb. Viele Vorurteile und Ängste lassen sich dadurch auflösen, indem Menschen zusammen arbeiten um dann festzustellen, dass einen mehr verbin det als unterscheidet. Durch das Engagement von Betriebsräten, Jugend- und Auszubildendenvertretungen und Unternehmen, schaffen wir hier ganz praktische Solidarität.

Wie kann gerade bei jungen Geflüchteten die Integration in die Ausbildung gestaltet werden, um Chancengleichheit und Teilhabe zu verwirklichen?

Alle Jugendlichen müssen die Chance auf eine qualitativ hochwertige betriebliche Ausbildung bekommen. Da darf auch kein Unterschied zwischen Geflüchteten und anderen Jugendlichen gemacht werden. Chancengerechtigkeit ist für uns das entscheidende Stichwort. Jugendliche, ob Geflüchtete oder nicht, bekommen von Unternehmen oft Defizite attestiert. Die Ursachen sind nicht nur im Fluchthintergrund, sondern oft auch in der mangelnden Qualität unserer eigenen Schulen zu suchen. Mit Blick auf den drohenden Fachkräftemangel sind Geflüchtete hier nicht als Gefahr, vielmehr als Chance zu begreifen. Als Chance unser Ausbildungssystem insgesamt zu verbessern, durch gemeinsames Lernen in der Ausbildungsgruppe und eine sichere und sinnerfüllte Perspektive, die Motivation aller Beteiligten zu steigern.

Was konntet ihr im letzten Jahr – im Zuge der Flüchtlingssituation – umsetzen? Was für konkrete Aktivitäten habt ihr noch geplant?

Mit einem Sofortprogramm wurde unseren örtlichen Gliederungen, den Geschäftsstellen, konkrete und direkte Unterstützung bereitgestellt. Zudem konnten wir in zahlreichen Unternehmen Vereinbarungen treffen, um junge Geflüchtete an die Ausbildung heranzuführen. Im Zentrum steht für uns immer die konkrete Unterstützung. Nach dieser Devise werden wir auch zukünftig verfahren. Neben einem Themenheft zur Einordung der gesellschaftlichen Gesamtlage und Argumentationstrainings, werden wir uns weiterhin in Bündnissen organisieren, die Integration in Ausbildung und Arbeit vorantreiben und vor allem: mit den Menschen vor Ort sprechen, ihnen zuhören und sie dann von unseren Werten und Ideen überzeugen.

Auswertungen zeigen, dass die AfD-Wähler bei den letzten Landtagswahlen vor allem „jung und männlich" waren. Was bedeutet das für die Arbeit der IG Metall Jugend? Wie sehen eure Positionen und Gegenstrategien aus?

Rassismus ist ein Problem aller Schichten, Nationalitäten, Geschlechter und Altersgruppen. Aber ja, es gibt Tendenzen, die wir nicht ausblenden. Wir analysieren sehr genau, warum gerade „jung und männlich" besonders wahlaffin gegenüber der AfD ist. Fakt ist aber auch, dass diese Gesellschaft zunehmend exklusiver und damit ausgrenzender wird. Abbau am Sozialstaat, prekäre Beschäftigungsformen, der globale Konkurrenzgedanke und neoliberale Gesellschafts- und Politikformen haben eine ganze Generation geprägt. Viele Jugendstudien zeigen uns, dass die junge Generation sich bei zunehmender Komplexität der Welt eine Reduzierung wünscht. Nicht im Sinne einer Pauschalisierung, sehr wohl aber in Richtung des Einordnens und Orientierens von Sachverhalten und Begebenheiten. Leider bietet dies auch Spielraum für rechte Parteien wie der AfD. Vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Fragen sind nicht nur gefährlich, sie werden auch zu weiteren Enttäuschungen führen. Die Bedürfnisse der jungen Menschen, ihre Sorgen, Nöte, Träume und Wünsche müssen in den Fokus gestellt werden. Das bedeutet manchmal aber auch mehr Fragen zu stellen und einiges auszuhalten. Wenn wir jene jungen Menschen dadurch aber erreichen und ihnen helfen, ihre politischen Vorstellungen in einem demokratischen Diskurs zu artikulieren, ist es das allemal wert. Nur so kann eine solidarische und inklusive demokratische Gesellschaft gelingen.

Provokationen wie die von AfD-Vize Gauland, der meinte, viele würden den deutschen Nationalspieler Boateng nicht als Nachbarn haben wollen, machen deutlich, dass die AfD ein zutiefst rassistisches Weltbild vertritt – Vielfalt lehnt diese Partei ab. Gerade bei jungen Menschen gehört diese kulturelle Vielfalt zum Alltag, egal ob im Betrieb oder im Freundeskreis. Wie kann die Jugend das Bewusstsein für Akzeptanz und Vielfalt fördern?

Vielfalt gehört zu Deutschland und Europa wie das Salz in der Suppe. Mit solchen Äußerungen wie von AfD-Vize Gauland wird der Versuch unternommen, die Gesellschaft weiter nach rechts zu drängen. Die zahlreichen Aufschreie und Gegenaktionen auch im Netz zeigen, dass dies zum Glück nicht so einfach funktioniert. Richtig ist aber auch, dass eine plurale und offene Gesellschaft nur funktioniert, wenn gewisse Sicherheiten vorhanden sind. Dies umfasst vor allem die soziale Sicherheit, eine hohe Verteilungsgerechtigkeit und gute Arbeit, die vor drohender Altersarmut schützt, um hier nur einige Punkte zu nennen. Darauf aufbauend müssen wir immer wieder neu beweisen, dass Vielfalt ein Gewinn und keine Last ist. In der IG Metall Jugend leben wir dies beginnend mit der Ausbildung, über Gremienarbeit und Seminare bis hin zu unseren Aktiven vor Ort. Durch unsere Ansprachematerialien und -prozesse fördern wir Werte wie Zusammenhalt, Solidarität aber eben auch Respekt und Vielfalt. Wir machen klar wofür wir stehen und dass es sich lohnt, für eine offene Willkommenskultur und bunte Gesellschaft zu kämpfen.