„Rechte Gewalt ist an der Tagesordnung“

Interview mit Sandro Witt, dem stellvertretenden Vorsitzenden des DGB Hessen-Thüringen und Vorsitzenden der Thüringer DGB-Landesvertretung

Am 1. Mai stürmten 40 Neonazis die DGB-Kundgebung in Weimar. Sie brüllten, sie randalierten, sie prügelten. Es gab mehrere Verletze, darunter war auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider. Der mediale Aufschrei war groß – für kurze Zeit. Dann verschwand das Thema aus den Schlagzeilen. Doch das Problem rechtsextremer Gewalt in Thüringen bleibt. Der DGB kämpft gegen den braunen Sumpf. Doch es ist nicht nur die extreme Rechte, die Sandro Witt, den Vorsitzender der Thüringer DGB-Landesvertretung, Sorgen bereitet – die Ressentiments in der „Mitte“ nehmen spürbar zu. Ein Gespräch über alltägliche rechte Gewalt, Rassismus und das Engagement der Gewerkschaften.

Am 1. Mai wurde der Öffentlichkeit auf erschreckende Weise nochmal vor Augen geführt, welche Gefahr von Rechtsextremen für diese Gesellschaft ausgeht. Kannst du nochmal die Hintergründe erklären zu dem Vorfall am 1. Mai in Weimar?

Die 40 Neonazis sind direkt, aggressiv in die Kundgebung rein. „SED gleich DGB“ haben beispielsweise gebrüllt. Die rot-rot-grüne Regierung mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist ein Feindbild. Es kam zu Ausschreitungen, es gab auch Verletzte, unter anderem den Abgeordneten Schneider von der SPD. Die Polizei war anfangs nicht direkt vor Ort, was einfach an der Personalsituation liegt. Die Polizei ist meines Erachtens unterbesetzt. Die Einsatzkräfte rückten jedoch in kürzester Zeit an und konnten 32 Täter festnehmen. Das war sehr positiv. Gegen die Täter läuft jetzt auch ein Ermittlungsverfahren. Insgesamt arbeitet das Thüringer Innenministerium sehr gut mit uns zusammen, alle sind um eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls bemüht.

Wie hast du davon erfahren, was war deine Reaktion?

Ich stand gerade in Erfurt auf der Bühne und habe meine Mai-Rede gehalten. Dann wurde mir ein Zettel zugeschoben, auf dem eben stand, dass es in Weimar einen Angriff auf die Veranstaltung gab. Nach einer kurzen Atempause habe ich mich dann dazu entschlossen, das sofort öffentlich zu machen. Daher auch das anfangs große Medienecho.

Was waren das für „Rechtsextreme“ in Weimar? Kann man sie zuordnen?

Wir wissen, dass sie aus Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt kamen. Sie gehören zu den Jungnationalen, dem Jugendverband der NPD. Das ist für mich ein weiteres Indiz dafür, dass die NPD verboten gehört! In Sonntagsreden propagieren sie Gewaltlosigkeit, doch das ist nicht so: Sie organisieren gewalttätige Neonazis in ihren Reihen. Das haben sie am 1. Mai bewiesen.

Wie stellt sich in Thüringen die Situation insgesamt dar? Wie präsent sind rechtsextreme Gruppierungen?

Rechte Gewalt ist an der Tagesordnung. Man wird bedroht, beschimpft oder angegriffen, sobald man „anders“ aussieht. Ich selbst wurde in einem Park von acht Neonazis verfolgt, weil ich für sie mit meinem „Iro“ sehr schnell als „Zecke“ auszumachen war. Das ist nichts Neues. Es hat sich leider trotz vieler Aktionsbündnisse nicht viel geändert. Die jetzige Landesregierung ist aber sehr aktiv gegen „Rechts“. Was wir brauchen, ist vor allem eine Zivilgesellschaft, die nicht wegschaut. Das erreichen wir nur über mehr politische Bildungsarbeit. In den Betrieben sind wir als Gewerkschaften aktiv. Da funktioniert es eigentlich gut. Auch mit Hilfe der „Gelben Hand“ versuchen wir im Betrieb die Kolleginnen und Kollegen zu sensibilisieren. Hier ist die Entwicklung durchaus positiv, Migranten fühlen sich gut aufgenommen. Man arbeitet gemeinsam, man spielt auch gemeinsam Fußball. Das Problem in Thüringen ist oft ein anderes: Es fehlt die Akzeptanz für Flüchtlinge.

Wie macht sich das bemerkbar? Welche Rolle spielt die Politik und wo setzt man politisch den Hebel an, um die Akzeptanz zu fördern?

Wir haben momentan in Thüringen die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen und deren Inklusion. Die Menschen hier haben kaum Erfahrungen mit Flüchtlingen. Die Ressentiments nehmen spürbar zu, ein latenter Rassismus bricht sich bahn. Jeden Montag mobilisiert „Thügida“ mit diesem Thema und viele Menschen gehen auf die Straße. Aber auch die Landtagsfraktion der AfD greift die Flüchtlingsthematik auf, sie schürt Ängste und bedient eine Abschiebungs-Rhetorik. Hier sind alle anderen Parteien gefragt, klar und deutlich zu widersprechen! Das Spitzenpersonal der AfD in Thüringen ist klar rechts. Das ist ein Wolf im Schafspelz. Politisch müssen wir die Umverteilungsfrage, die soziale Gerechtigkeit, wieder oben auf die Agenda setzen. Es geht darum, den sozialen Frieden zu wahren. Denn oftmals sind soziale Abstiegsängste Ursache der fremdenfeindlichen Einstellung gegenüber Flüchtlingen. Die Frage des Zusammenlebens liegt in der Umverteilung. Um diese Frage müssen auch wir Gewerkschaften uns kümmern.