Der 1. Mai und die nationale Vereinnahmung

Geschichte, Hintergrund und Gegenwart

Der 1. Mai steht im Zeichen des gewerkschaftlichen Protestes für bessere Arbeitsbedingungen und gegen soziale Ungerechtigkeit. Dies hat gewerkschaftliche Tradition und wurde auch dieses Jahr praktiziert. Doch ebenso beteiligten sich Gewerkschaftsmitglieder an den Gegenaktivitäten zu Aufmärschen rechter Parteien und Organisationen. In Weimar stürmten dieses Jahr Neonazis die Bühne, entrissen dem Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider das Mikrofon, um rechte Parolen zu skandieren, und verletzten drei Menschen. Einstimmig erklärten die Parteien Die Linke, CDU, SPD und Bündnis90 / Die Grünen sowie der DGB: „Gewalt und Hetze jeder Art haben in Thüringen keinen Platz, nicht am 1. Mai und an keinem anderen Tag.“ Sandro Witt, Vorsitzender des DGB in Thüringen, fordert darüber hinaus vom thüringischen Innenministerium „Aufklärung, wie es zu dem Übergriff kommen konnte, obwohl das Innenministerium eine polizeiliche Absicherungen aller DGB-Veranstaltungen angekündigt hatte.“ Dass Neonazis versuchen, eine Veranstaltung von Gewerkschaften zum 1. Mai zu verhindern, ist kein gegenwärtiges Phänomen, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Als 1933 die Nationalsozialisten den 1. Mai erstmalig zum Feiertag erklärten, war dies offensichtlich eine vorgreifende Maßnahme, um möglichen Widerstand bei der Zerschlagung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) einen Tag später zu unterbinden. Der 1. Mai, der vormals immer als internationaler Kampftag begangen wurde, mutierte unter den Nationalsozialisten zum „Tag der nationalen Arbeit“, der ausschließlich im Sinne der deutschen Volksgemeinschaft betrachtet wurde. Die Umbenennung ein Jahr später in „Nationaler Feiertag des deutschen Volkes“ hatte nichts mit der gewerkschaftlichen und internationalistischen Ausrichtung zu tun, wie der 1. Mai bis 1933 gefeiert wurde.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten rechte Parteien wie die NPD den 1. Mai zu okkupieren. Schon in den 1960er Jahren, als die Partei knapp am Bundestagseinzug scheiterte, marschierten Parteimitglieder auf, um den Tag ausschließlich als „nationalen Tag“ zu proklamieren. Ende der 1960er Jahre war der Protest laut, um den Versuchen der NPD Einhalt zu gebieten. Eine nationalistische Tradition konnte sich nicht etablieren. Mit dem Verschwinden der NPD als potentielle politische Kraft, ebbten auch Aufmärsche zum 1. Mai erheblich ab.

Trotzdem waren gewerkschaftliche Veranstaltungen immer wieder Ziel von Attacken von rechts. In Frankfurt/Main überfielen 1982 250 rechte Hooligans von verschiedenen Vereinen die Mai-Veranstaltung des DGB. Unter rassistischen Rufen griffen sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. Anfang der 1990er Jahre änderte die NPD ihre Öffentlichkeitsstrategie und der 1. Mai wurde erneut Agitationsfeld für ihre rassistische Arbeits- und Sozialpolitik. Aufmärsche waren seit der Mitte der 1990er Jahre wieder aktuell und hatten das Ziel, den „Tag der Arbeit“ als „nationalistischen Kampftag“ umzuinterpretieren. Parolen wie „Frei, Sozial und National“ ähnelten sehr der national-sozialistischen Haltung aus den 1930er Jahren.

Auch die „Autonomen Nationalisten“, die explizit die Tradition der SA wieder aufleben lassen wollen, orientieren sich an der nationalsozialistischen Interpretation des 1. Mai. Besonders der Kernbegriff „Nationaler Sozialismus“ soll ein Politikverständnis vermitteln, dass die Interessen der Arbeiter vertritt. Symbole und Codes verschleiern jedoch den völkischen Charakter, der die Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer in „Rassen“ einteilt und eine soziale und demokratische Ungleichheit aufgrund von Herkunft und Geburt fordert. Dazu kam ihr gewalttätiges Auftreten, das bei Veranstaltungen zum 1. Mai ebenso ausgelebt wurde. In Dortmund überfielen 2009 mehrere Hundert „Autonome Nationalisten“ den Demonstrationszug des DGB und machten regelrecht Jagd auf die teilnehmenden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Die Szenen schockten nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Öffentlichkeit. Die Mai-Veranstaltungen in den kommenden Jahren waren deshalb auch geprägt vom antifaschistischen Engagement der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, dem Bekenntnis zum internationalen Charakter des 1. Mai und dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit, für bessere Arbeitsbedingungen und einer solidarischen Gesellschaft.

Die Stürmung der DGB Veranstaltung in Weimar und andere neonazistische Gewalttaten am 1. Mai erinnern uns immer wieder, dass wir im Kampf gegen Rechts nicht nachlassen dürfen.