„Den Anfängen wehren“

DGB-Jugend organisiert Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz mit tausend Jugendlichen

„Es war ein wichtiger Meilenstein der gewerkschaftlichen Erinnerungskultur“, erklärt Mirjam Blumenthal, zuständig für die Themenbereiche „Rechtsextremismus“ und „Antirassismus“ in der Abteilung Jugend des DGB. Gemeint ist die große Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz, die die DGB-Jugend gemeinsam in einem Bündnis aus zahlreichen anderen Jugendorganisationen wie der Grünen Jugend, den Jusos oder der katholischen Jugend auf die Beine gestellt hat.

Vom 17. bis zum 21. Juni haben rund tausend Jugendliche an der Fahrt teilgenommen, darunter ca. 600 junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Anlass war das Gedenken an die Opfer der Shoa im 70. Jahr nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. „Als Gewerkschaftsjugend stehen wir für eine demokratische und antifaschistische Gesellschaft und wollen der verfolgten, gequälten und ermordeten Menschen gedenken – seien es Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, Gewerkschafter, politisch Andersdenkende, Menschen im Widerstand oder Angehörige weiterer verfolgter Gruppen", unterstreicht Mirjam Blumenthal die politische Bedeutung dieser Fahrt, „aus der Erinnerung an die Verbrechen entsteht für die heutigen Generationen aber auch die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich Auschwitz nie wieder wiederholen kann.“

Das Programm in den vier Tagen war vielfältig angelegt und ermöglichte den Jugendlichen eine perspektivenreiche, differenzierte Auseinandersetzung mit der NS-Thematik. Neben dem Besuch beider Konzentrationslager in Auschwitz, dem Stammlager und dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, erkundeten die Jugendlichen unter anderem das jüdische Viertel in Krakau. Für alle bewegend war im weiteren Verlauf das Gespräch mit der Zeitzeugin Esther Bejarano, einer Auschwitz-Überlebenden, die den Jugendlichen eindrucksvoll durch ihre Geschichte vermittelte, wie wichtig es ist, die Erinnerung an das geschehene Unrecht generationenübergreifend wach zu halten. Die Besichtigung der Emaille-Fabrik von Oskar Schindler bedeutete einen Anknüpfungspunkt an die gerade für Gewerkschaften relevante Thematik der Rolle der Unternehmen im Dritten Reich mit Blick auf das System der Zwangsarbeit.

Schon im Vorfeld fanden themenbezogene Workshops statt, in denen junge Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet und so inhaltlich vorbereitet wurden, um die Jugendlichen auf der Fahrt fachkompetent zu betreuen. „Wir haben hier ein eigenes Konzept erarbeitet. Das ist auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit bei diesen Themen in unserer Jugendarbeit“, so Blumenthal. Einer der Jugendbegleiter war der junge Betriebsrat Ünsal Ba?er von den Hüttenwerken Krupp Mannesmann in Duisburg. Am 10. Juni 2015 hat die Betriebs- und Personalrätekonferenz der SPD-Bundestagsfraktion stattgefunden. Gut 300 Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten kamen in den Bundestag, um über aktuelle und künftige Herausforderungen der Gestaltung von Arbeit und eine soziale Arbeitsmarktpolitik zu diskutieren. Mit dabei war auch die „Gelbe Hand“. Denn bei der Anti-Rassismusarbeit im Betrieb spiele der Betriebsrat eine zentrale Rolle, erklärte der Vorsitzende Giovanni Pollice: „Über das Betriebsverfassungsgesetz haben Betriebsräte den Auftrag sich aktiv für die Integration und gegen Rassismus im Betrieb einzusetzen. Aufgrund ihrer großen Gestaltungsmöglichkeiten sind sie wichtige Akteure und Ansprechpartner für den Kumpelverein, wenn es darum geht, im Betrieb Akzeptanz zu fördern und Diskriminierungen abzubauen.“ Daher sei es wichtig gewesen, mit den Kolleginnen und Kollegen in den Austausch zu kommen.Für den 28-Jährigen war es nicht die erste Fahrt nach Polen, dennoch sei es immer hochemotional: „Wenn man diese riesige Fläche sieht, auf der Menschen systematisch umgebracht wurden, oder wenn man ihre persönlichen Utensilien sieht, dann geht einem das sehr nah.“ Wichtig sei, dass aus der Betroffenheit über das Vergangene eine Einstellung erwachse, die jeder Intoleranz auch im Hier und Jetzt entgegentritt: „Man hat gesehen, wozu Intoleranz führen kann. Rechtsextremes Gedankengut existiert auch heute noch, man darf es nicht unterschätzen. Gewerkschafter waren im Dritten Reich unter den Opfern, und auch heute, wie der 1. Mai dieses Jahr gezeigt hat, gibt es Übergriffe von Rechtsextremen. Deswegen müssen wir immer wieder den Finger in die Wunde legen und für Toleranz einstehen.“ Denn für die Gewerkschaften sei jeder Mensch gleichwertig. „Rechtsextreme wollen die Spaltung der Gesellschaft, wir stehen für die Solidarität!“, untermauert Ünsal Ba?er die Handlungsmaxime der Gewerkschaften.

Die Gedenkstättenfahrt war für die tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein mit Sicherheit prägendes Erlebnis. Mirjam Blumenthal von der DGB-Jugend ist sich sicher, dass es nicht bei der einmaligen Erinnerung an die Fahrt bleibt, sondern dass sich daraus eine Kontinuität in der Anti-Rassismusarbeit entwickelt. Das zeige auch der Auswertungsbogen, der von den Organisatorinnen und Organisatoren an die Jugendlichen verteilt wurde: „Wir haben gefragt: Was heißt für dich ‚Nie wieder Auschwitz‘? Und die allermeisten haben geantwortet: Jetzt erst recht antifaschistische Arbeit! Das spricht für den Ansporn der Jugend. Denn wir müssen in unseren individuellen Strukturen, Tag für Tag, den Anfängen wehren!“

Bilder, Impressionen und Kommentare zur Gedenkstättenfahrt gibt es im Blog der DGB Jugend unter: https://storify.com/DGBJugend/jugendfahrt-2015

Quelle: flickr, Foto: Erik Marquardt / Grüne Jugend