„Antifaschismus ist eine Herzensangelegenheit“

Exklusives Gelbe Hand-Interview mit Annelie Buntenbach, DGB-Bundesvorstandsmitglied

Weder alters- noch amtsmüde – dennoch wird Annelie Buntenbach ihr Amt als Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB Anfang Mai aus Altersgründen niederlegen. Ihre Nachfolgerin ist Anja Piel. Annelie Buntenbach verlässt nach 14 Jahren die „Brücke“ des DGB. Sie hat sich immer für eine solidarische Gesellschaft engagiert und ist eine entschiedene Kämpferin gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Annelie Buntenbach stand immer ander Seite der Gelben Hand. Wir haben aus Anlass der Stabübergabe mit ihr über das Erinnern an Gestern, aber auch die heutigen Herausforderungen im Kampf gegen rechts gesprochen.

Was bedeutet der 8. Mai für dich persönlich?

Das ist der Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus, für mich ein Tag des Erinnerns, der Diskussion und Auseinandersetzung mit der Frage, die mich schon immer bewegt und mich nicht zuletzt dazu gebracht hat, Geschichte zu studieren: Wie konnte es überhaupt so weitkommen? Was können und müssen wir tun, wenn es uns ernst ist mit dem Schwur „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“

Welche Rolle spielt der 8. Mai in der Erinnerungskultur in Deutschland?

Eine ausgesprochen wichtige Rolle – die Erinnerung, aber gerade auch die aktive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den neuen Gefahren von Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenverachtung braucht Orte und Daten. Immer wieder wird die Forderung laut, endlich einen Schlussstrich zu ziehen – das finde ich grundfalsch, da halte ich es mit Esther Bejarano. Sie musste einst im Mädchenorchester Auschwitz spielen, macht eine ganz großartige und bewundernswürdige antifaschistische Arbeit – jetzt fordert sie, den 8. Mai zum Feiertag zu machen: „Sonntagsreden, die Betroffenheit zeigen, reichen nicht. Es muss gestritten werden für die neue Welt des Friedens und der Freiheit, die die befreiten Häftlinge im Schwur von Buchenwaldals Auftrag hinterlassen haben. Ein offizieller bundesweiter Feiertag wäre dafür die regelmäßige Verpflichtung. – Nicht nur, abereben auch an jedem 8. Mai.“

Was markiert dieser Tag speziell für die Gewerkschaften?

Am 2. Mai 1933 haben die Nazis die Gewerkschaftshäuser besetzt, unter den zahlreichen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft waren viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, viele waren im Widerstand. An sie in den unterschiedlichsten Formen zu erinnern, stärkt die antifaschistische DNA der Gewerkschaften. Und es geht darum, die Bedeutung der gewerkschaftlichen Einheit als Konsequenz aus der Nazizeit zu würdigen und sichden großen Wert von Bündnissen mit ganz unterschiedlichen und vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen und Initiativen zu vergegenwärtigen, um sich erfolgreich gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus aufstellen zu können. Das machen wir natürlich nicht nur am Gedenktag, aber er bietet dafür immer wieder einen guten Anlass.

Welche Herausforderungen für die Erinnerungskultur siehst du für die Gewerkschaften in den nächsten Jahren?

Es gibt leider nicht mehr viele Zeitzeugen, die das Grauen der Konzentrationslager überlebthaben und davon berichten können. Wir werden also eine Erinnerungskultur entwickeln müssen, die auch ohne das direkte Gespräch auskommt. Gerade mit der AfD in den Parlamenten, zu deren Führerpersonal ein Höcke gehört, der seine innerparteilichen Gegner „ausschwitzen“ will, ist die aktive Erinnerung an den Horror des Nationalsozialismus umso wichtiger. Und die Auseinandersetzung mit den Strategien, mit denen die Nazis nach der Macht, aber auch den Herzen und Köpfen gerade der Arbeiterschaft gegriffen haben – Sozialdemagogie ist keine Erfindung des „Flügels“. Gerade wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind da gefordert: Wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich über ihre blauen oder braunen Hemden auch noch ein soziales Mäntelchen streifen.

Welche Bedeutung hat für dich die Gelbe Hand?

Ich bin sehr froh, dass es den Verein gibt – und dass mit ihm die Gewerkschaften ganz klar Position beziehen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Sichtbar, mit klarer Symbolik und Haltung. Mit seinen guten Materialien, Veranstaltungen, Wettbewerben und Projekten unterstützt er die Aktiven im Kampf gegen rechts, und das schon seit vielen Jahren – ich hoffe, auch noch für viele weitere Jahre mit alten und neuen Ideen!

Wenn du auf dein langes Engagement bei den Gewerkschaften und im Dachverband zurückblickst, aber auch in zivilgesellschaftlichen Initiativen: Was haben wir erreicht im Kampf gegen die extreme Rechte?

Erreicht haben wir einen Wechsel der Perspektive in der Diskussion hin zu den Opfern und ihrerUnterstützung, z. B. über die Opferberatungsstellen und eine Stärkung der Zivilgesellschaft, z. B. über die mobilen Beratungsstellen und über zahlreiche ganz unterschiedliche Bündnisse, die die Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten stärken und ihre Vielfalt zum Tragen bringen. Aber beruhigen kann mich das keineswegs. Mit der AfD haben sich die Koordinaten in der Republik nach rechts verschoben, Unsägliches ist wieder sagbar geworden, sie ist eine wandelnde Ermutigung für Arschlöcher. Und sie ist gekommen, um zu bleiben – mit der Infrastruktur, ihrem Mitarbeiterstamm in den Parlamenten, dem Geld, das sie zur Verfügung hat. Da haben wir viel zu tun, auch um zu zeigen, das ist keine normale Partei, mit der man zusammenarbeitet, sondern hier bedarf es klarer und eindeutiger Abgrenzungen aller Demokratinnen und Demokraten. Einer Brandmauer, wie es sie in Thüringen nicht gegeben hat. Und nicht erst Hanau hat gezeigt, wie lebendig der Rechtsterrorismus ist, wie erschreckend wenig Konsequenzen aus dem NSU gezogen worden sind, wie blind nicht nur der Verfassungsschutz gegenüber den rechtsterroristischen Netzwerken ist. Das ist brandgefährlich!

Was möchtest du den Aktiven in den Gewerkschaftennoch mit auf den Weg geben? Und weißt du schon, wo du deine Kraft und Energie ab Sommer einbringen willst?

Wir haben hier als Gewerkschaften eine große Verantwortung, für uns ist Demokratie so wichtig wie die Luft zum Atmen. Wir dürfen die Namen der Opfer von rechter Gewalt und Terrornicht in Vergessenheit geraten lassen. Ich bin sehr froh und stolz, dass immer wieder Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter Motor in der Arbeit und den Bündnissen gegen Rechtsextremismus und Rassismus sind. All denen, die sich hier schon seit Jahren mit soviel Energie engagieren, möchte ich einmal ein ganz großes Danke sagen – ich habe in den Jahren im DGB-Vorstand sehr, sehr gern mit Euch zusammengearbeitet. Das will ich gern auch nach dem Sommer fortsetzen – Antifaschismus hängt schließlich nicht am Amt, sondern ist eine Herzensangelegenheit.

Stationen im politischen Leben von Annelie Buntenbach

Geboren wurde Annelie Buntenbach am 24. Februar 1955 im nordrhein-westfälischen Solingen. In Bielefeld studierte sie Geschichte und Philosophie. Schon 1978 trat sie in die Gewerkschaft ein, denn Teilhabe und soziale Gerechtigkeit waren für sie bestimmende Merkmale des demokratischen Miteinanders. Seit 1982 engagierte sie sich auch aktiv in der Politik. Von 1994 bis 2002 war Buntenbach Bundestagsabgeordnete in der Fraktion von Bündnis 90/DieGrünen. Sie war arbeitsmarktpolitische Sprecherin, leitete die Fachkommission „Gewerkschaften“ und widmete sich dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. Ab dem Jahr 2002 war sie Abteilungsleiterin im Bundesvorstand der IG BAU, bevor sie 2006 in den Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB gewählt wurde. Seitdem vertrat Buntenbach dort die Bereiche Arbeitsmarkt und Sozialpolitik einschließlich der Seniorenpolitik, Recht sowie Europa, Migrations- und Antirassismuspolitik. Sich für die sozialen Belange von Arbeitnehmer*innen, aber auch von Minderheiten einzusetzen, ist für sie der Antrieb der politischen Arbeit. Einen roten Faden in ihrem Wirken bildet das kontinuierliche Engagement gegen Rechtsextremismus – sie war und ist eine tatkräftige Mitstreiterin des Kumpelvereins.

Annelie Buntenbach, Mitglied im DGB-Bundesvorstand.